Montag, 21. April 2008

Kurven stricken und um die Ecke denken - gut aussehen leicht gemacht für Boob Girls, Belly Girls und Butt Girls


Vor etwa zwei Jahren erschien ein Buch, auf das ich niemals aufmerksam geworden wäre, wenn ich nicht verzweifelt auf der Suche gewesen wäre nach Strickanleitungen für Frauen, die über das, was einem heutzutage als "XL" angepriesen wird, nur müde lächeln können. Es war zwar für einen Blindkauf ganz schön teuer und dazu noch in englischer Sprache, aber das Loblied, mit dem es alle einstimmig besangen, minderte das Kaufrisiko doch erheblich. Und in der Tat: "Big Girl Knits" geht weit über das hinaus, was einem ein gutes Anleitungsbuch liefern kann. Selbst wenn man nichts daraus strickt, ja selbst wenn man gar nicht strickt, kann man Informationen darin finden, die fürs Leben nützlich sind. Fürs Leben, jawoll.

Denn erstens ist "Big Girl Knits" ein recht universell gültiger "style guide", und zweitens sind allein die Bilder eine Augenweide. Aber zugleich gewöhnungsbedürftig. Denn die Plus-Size-Models, die einen normalerweise aus den so genannten Übergrößenkatalogen anstrahlen, haben – wenn’s hoch kommt – Konfektionsgröße 44 und dementsprechend hängen oft auch die Klamotten an ihnen herunter wie Kartoffelsäcke. Okay, ich geb zu, es ist besser geworden. Aber nur ein bisschen.

Ob nun die Amerikaner tatsächlich so viel weiter sind als wir oder ob dieses Buch auch dort etwas Besonderes ist – ich weiß es nicht sicher. Fakt ist nur: Man reibt sich die Augen, man staunt: Die Models in diesem Buch sind wirklich alles andere als dünn. Sie sind auch nicht furchtbar dick, beileibe nicht, ich denke, sie tragen im Schnitt Größe 46/48. Aber sie sehen einfach großartig aus und was noch großartiger ist: Man kann sich endlich mal vorstellen, wie das Teil am eigenen Leibe aussehen mag. Und was vielleicht ehrlicherweise doch nicht geht, weil wenn die Dame darin schon kräftige Oberarme hat, was habe dann ich?

Gestrickt habe ich aus „Big Girl Knits“ bisher nur die „Cherry Bomb“, ein klassisches Tanktop mit extra breiten Trägern und kurvengerechtem „Shaping“. Auf meiner To-Do-Liste stehen aber noch mindestens 6 andere Modelle.

Überhaupt: It’s all about shaping. Au revoir, Kartoffelsack. Die Devise heißt: Kurven, wem Kurven gebühren. Jillian Moreno und Amy Singer teilen uns „big girls“ in drei Gruppen ein, wohl wissend, dass es Mischformen gibt, aber grob vereinfacht gibt es: Boob girls, belly girls und butt girls. Sie sagen: „Wir werden Euch nicht versprechen, dünner auszusehen, sondern ihr werdet gut aussehen.“ Danke, Mädels. Das war überfällig. Denn wenn, ja wenn überhaupt frau mal ein paar nette Buch- oder Zeitschriftenseiten zum Thema große Größen finden, dann steht da stets, wie man „ein paar Pölsterchen verstecken“ kann. Wer sich aber nicht verstecken mag und auf Wurstpelle auch keine Lust hat, der ist oft genug noch immer ratlos.



Eine mögliche Lösung: Knit it yourself. Jetzt gibt es – ganz neu – sogar „More Big Girl Knits“ vom selben Autorinnenteam und ich sage Euch: Man möchte sofort anfangen. Fragt sich bloß, womit?

Meine Favoriten im ersten Buch:

Cherry Bomb: Wie gesagt, die befindet sich schon in meinem Kleiderschrank, nicht kirschfarben, sondern wunderschön beeren-cremefarben meliert mit ein bisschen grün dazwischen in einer zauberhaften Baumwoll-Viscose-Mischung, die mir nun auch nach mehrfachem Waschen noch Freude macht. Das Stricken selbst war jetzt kein Highlight, überwiegend glatt rechts nervt irgendwann dann doch. Fürs Ergebnis hat es sich aber zum Glück gelohnt. Schaut mal, das ist meine "Very Berry Bomb":


Bombshell: Klingt etwas militärisch, das Ganze. Ein sehr außergewöhnlicher Kurzarmpulli, im Raglanstil in der Runde gestrickt mit einem tollen Ausschnitt und gewagt tailliert. Sollte eigentlich als nächstes drankommen, aber jetzt muss ich glaub ich erst mal was aus dem zweiten Buch stricken, denn dafür hab ich Wolle im Haus und muss nicht noch mehr kaufen ;o)…

Lift and Separate: Todschicker Wickelpullover, eigentlich genau das, was ich seit Jahren zu kaufen gesucht habe. Ist halt ein Riesenprojekt aufgrund der doppelten „Schicht“ in Brustbereich, ich wollte erst mal mit etwas Kleinerem anfangen. Aber irgendwann mach ich den auf jeden Fall.

Curvalicious Cardigan: Gefiel mir erst gar nicht so, gefällt mir immer besser. Ich würde den Reißverschluss weglassen und die Kapuze wahrscheinlich auch.

Das zweite Buch – erster Eindruck. Dies kann sich noch total wandeln, denn auch beim ersten Buch hatte ich zunächst andere Favoriten, bis ich die ersten Projekten in verschiedenen Farben und Größen bei Ravelry gesehen habe. Richtig scheußlich fand ich in „Big Girl Knits 1“ eigentlich nur den „Mosaic Sweater“ und den dazu gehörigen Rock – aber das ist auch so geblieben. Aber die „Schwerpunkte“, die Sachen, die ich auch tatsächlich für mich als lohnenswert erachte, haben sich teils verändert.

Im zweiten Buch richtig scheußlich finde ich gleich das erste Modell: Nennt sich Bountiful Bohus. Ich bin mal sehr gespannt, ob’s nur an den furchtbaren Farben liegt – sieht aus wie eine Trachtenjacke. Geht gar nicht.

Die anderen Sachen würde ich alle zumindest theoretisch anziehen – ob ich mir die Mühe machen würde, sie zu stricken und ob sie meiner Figur auch schmeicheln, sei dann mal dahingestellt.

Suzie Hoodie: Bei Ravelry schon heiß begehrt und in aller Munde, so scheint’s. Eigentlich mag ich Kapuzenpullis, ich ziehe sie bloß nicht so gern an. Irgendwie weiß ich nie, wohin mit der Kapuze, unterm Mantel hab ich immer einen Buckel. Irgendwie doof, wenn man ohnehin nicht zu kerzengerader Haltung neigt. Ich muss aber zugeben, das Ding ist toll. Vielleicht könnte man es outdoortauglich stricken, aus nicht allzu dickem, aber sehr warmen Garn (Alpaka oder so). Ich denk mal drüber nach.

Modular Spiral Jacket: Erwähnte ich schon, dass ich ein „boob girl“ bin? Diese Jacke ist dann eigentlich nicht für mich. Weiß aber gar nicht so recht, warum nicht. Ich würde sie absolut anziehen. Hab aber im Moment wenig Lust, Intarsien zu stricken. Wenn mir mal der Sinn danach steht, würde ich es mir aber zutrauen.

Boo, too: Das kannte ich schon aus der „Knitty“. Eigentlich genau mein Stil: feminin und ein bisschen ausgefallen, quietschbunt und mit Rüschen. Aus dem Noro-Garn – so schön es ist – wäre es mir allerdings zu dick. Ich würde das nicht anziehen.

Hot Cocoa Jacket: Vornehm, vornehm. Eher so was wie ein Blazer. Würde wirklich gern mal wissen, wie ich darin aussehe.

Peapod Aran Jacket: Sweet pea heißt ja „süße Erbse“ und genauso ist diese Strickjacke. Erbsengrün – das ist ein Pluspunkt, ich liebe ja grün – mit Erbsenschotenzöpfen und Erbsennoppen all over. Macht bestimmt tierisch Spaß, das zu stricken. Aber für mich selbst wäre mir das zu heavy.

Cable love Jacket: I’m so in love. Eigentlich auch nix für mich, aber ich wüsste Abhilfe zu schaffen. Das horizontale Zopfmuster müsste für mich lediglich ein wenig nach unten versetzt werden, vielleicht auf Taillenhöhe. Der Rest, ein tiefer Ausschnitt und schwingenden Formen, das steht mit Sicherheit auch mir. Must have.

Folly II: Kannte ich auch aus der Knitty. Die Jacke mit auffälligem Schalkragen – mit bunten Rosen best®ickt sieht zwar hinreißend aus, würde meine Körbchengröße aber wahrscheinlich 8x so groß aussehen lassen. No way.

Twisted: Der Titel-Pullover. Total schön mit ein bisschen Lochmuster, aber nicht zuviel. Ziemlich weit oben auf der To-do-Liste

Mirage: Ja, der hat was. Mit etwas tiefer gelegterem Ausschnitt bedenkenswert. Reißt mich noch nicht vom Hocker, aber das ist ein Modell, bei dem ich mich schon auf andere „Ausführungen“ bei Ravelry freue. Gut möglich, dass ich ihn mir dann auch für mich vorstellen kann.

No-Gap Wrap Pullover: Zauberhaft, zauberhaft. Ein Wrap, der keiner ist und vielleicht genau deshalb sogar noch schöner ist als „Lift and Separate“ aus dem ersten Buch. Aber ich kann ja beide machen.

Pastille: Süß, aber zu pastellig. Auch hier würde ich mich über andere Varianten freuen, das Mosaikmuster hat allemal was.

Slipstream Pullover: Sieht aus wie eine klassische Tunika. Nix für Boob Girls? Papperlapapp. Ein bisschen bust shaping hier und waist shaping dort – ich werde hinreißend darin aussehen.

Guatemalan Floral tunic: Die Rosen finde ich jetzt nicht so toll. Den Stil gar nicht mal so schlecht. Mit anderen Motiven – warum nicht?

Summer Chevron: Hierfür habe ich Wolle im Hause. Neulich für 2 Euro das Knäuel ein Schnäppchen gemacht. Durch die Diagonale wird das selbstmusternde Garn wahrscheinlich auch besser an mir aussehen. Und es ist endlich mal was für den Sommer. Wer mag denn jetzt an Winterpullis denken?

Magic Halter: Auch so ein Fall von „Müsste ich mal in anderer Farbe und an anderen Frauen sehen“. Aber ich glaub, so ganz toll find ich’s nicht.

Orange Smoothie Tank: Oh so gorgeous. Das muss ich haben. Nicht in Orange, sondern in einer anderen leuchtenden Farbe. Ein Traum und very sexy.

Goddess Shawl: Ganz, ganz toll. Wäre mir aber zuviel Hingucken, zuviel Aufpassen. Zu kompliziert. Perlen, Zöpfe und Lochmuster – puh, nee. Aber wenn das jemand für mich stricken will – bitte sehr ;o).

Perfection Wrap: Den mag ich „nebenbei“ stricken. Habe sogar schon eine Idee, welches Garn es sein soll: Regia Galaxy Cotton.

Finagle: Klares Nö. Ist halt einfach ein überdimensionierter Schal. Die Wolle sieht natürlich schon toll aus.

3 Sockenanleitungen: Vielleicht komme ich ja doch irgendwann mal auf den Sockentrip. Schön sind sie alle. Vor allem die twisty-stitch socks.

Big Clutch: Hübsches Abendtäschchen. Was ich an diesen Clutches irgendwie nervig finde, ist, dass sie keinen Henkel oder einen Umhängegurt haben. Es wär dann zwar kein „clutch“ mehr, aber man könnte natürlich einen dranmachen.

Felted Weekend Bag: Schön, aber so was häkele ich lieber. Geht schneller und ist einfacher.

Fazit: Beide Bücher sind absolut ihr Geld wert. Allein die Tipps, wie man sich einen eigenen Pullover „zurechtschneidert“, wie man misst und wo und warum – all das habe ich in dieser Form noch nirgends gelesen. Die Maßeinheiten sind für uns Deutsche natürlich erst mal umzurechnen, überhaupt kommt man leider nicht immer ums Rechnen herum, aber das hat mir ja früher schon mein Mathelehrer prophezeit, leider...

Selbst Frauen, die nicht wirklich dick sind, aber angesichts diverser Rundungen trotzdem nicht immer in die Sachen passen, die uns von der Stange angeboten werden, finden darin nützliche Tipps. Und die Optik: Wirklich erste Sahne. Amy R. Singer und Jillian Moreno - your books rock. Big Girls all over the world love you und thank you for the „Big Girl spirit“ and the „Big Girl wit“ which leads to a „Big Girl pride“. Yeah!